Beckenbauer und der Tempel der Morgenröte
Ich schrieb in einem anderen Beitrag: Im Fußball ist es wie im Leben. Nun will ich hier nicht ins Philosophische wechseln. Es geht auch nicht darum, die Feststellung, der Fußball ist sein ganzes Leben, die auf mich durchaus zutrifft, zu verallgemeinern. Es ist mir nämlich durchaus bewußt, dass das nicht für alle Menschen gilt. Obwohl ich diese Menschen nie so ganz verstehen werde. Sie wissen gar nicht, was ihnen alles entgeht.
Ich weiß, dass es gerade die Fußballverächter sind, die den echten Fans eine verengte Sicht und eine einseitige Ausrichtung ihres Lebens vorwerfen. Jede Woche Stadion. Immer nur die Sportseiten. Premiere rauf und runter. Jedes zweite Wochenende Auswärtsfahrt. Reisen zu den Europapokalspielen und vielleicht sogar Mitreise in die Trainings- lager. Wo bleibt da noch Zeit für das, was allgemein als das richtige Leben angesehen wird: Familie, Urlaub, Shoppen, Kino, Konzerte, nor- males Fernsehen und so weiter.
Wir müssen gar nicht widersprechen. Das haben wir Fans überhaupt nicht nötig. Obwohl wir es ja besser wissen. Da stehen wir drüber, so- zusagen ganz oben im Block F der Westkurve.
Wie steht es zum Beispiel mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl in unserer Gesellschaft. Was ist es wert, wenn es sich darauf beschränkt, dass zwar alle das gleiche tun, Shoppen, Autofahren und Fernsehen, aber jeder allein und für sich? Was bedeutet es, wenn mal eben 10 Mil- lionen Mitbürger ausgeschlossen werden, weil ihnen das nötige Klein- geld fehlt?
Da sind wir Fußballfans ganz anders. Uns verbindet nicht nur der Samstagnachmittag. Wir unterhalten uns schon auf dem morgendli- chen Weg in die Tiefgarage, auf Arbeit, am Kopierer, während der Mit- tagspause, in der Kneipe, im Urlaub, einfach immer miteinander. Wir finden jederzeit und überall einen von uns, mit dem wir über den HSV fachsimpeln und über den Fußball klönen können.
Vor Jahren, es muss Anfang der 80er-Jahre gewesen sein, sprach mich in Bangkok, ganz oben auf dem Wat Arun, dem Tempel der Morgen- röte, ein in Orange gewandeter Buddhist an. Wir sprachen über den Fußball, den Beckenbauer und er lächelte mich an.
Sammelbild - Franz Beckenbauer im Bayerndress - ärgerlich nur sein unechtes, weil gestempeltes Autogramm
Unterschiedliche Sprache, Religion, Kultur - für den Fußballfan alles kein Problem. Wir sind eine Gemeinschaft. Der Fußball ist ein großes unsichtbares Band, das uns alle vereint. Auch soziale Unterschiede ma- chen wir nicht. Der beste Fan nimmt sowieso Stehplatz, wenn er einen kriegen kann
Darum komme ich zu dem Schluss: Das Fußballfan-Leben ist das viel bessere Leben.
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