Günter Netzer und die Freistoßzeremonie



Wenn der Günter Netzer einen Freistoß schoß, dann war das keine schnelle Nummer. War er selbst gefoult worden, dann sowieso nicht. Und Günter Netzer fiel schnell und oft. Der freie Fall gehörte genauso zu seinem Spiel wie die Freistoßshow.

Netzer nahm den Ball behutsam in beide Hände. Er musterte ihn, ging in die Hocke und drehte den Ball in seinen Händen, indem er die ihm abgewandte Seite des Balles nach oben drehte und diese Bewegung zwei, drei Mal wiederholte. Er legte den Ball sachte und fast liebevoll auf einen von ihm gewählten Punkt des grünen Rasens, wobei er sich die Grashalme mit Bedacht auszusuchen schien. Noch in der Hocke nahm er den Ball erneut nur wenige Millimeter auf, drehte ihn noch einmal auf dieselbe Weise und platzierte ihn gefühlvoll auf seine endgültige Posi- tion.

Netzer erhob sich nicht. Er blieb in der Hocke, stützte sich mit den Fingern der rechten Hand auf dem Rasen ab und schaute in Richtung Tor. So, als wolle er sich die angedachte Flugbahn des Balles schon einmal aus Sicht des Balles anschauen. Als wolle er mit dem Ball letzte Absprachen treffen. Die Spieler der gegnerischen Mannschaft verfolg- ten den Vorgang erwartungsvoll. Zehntausende im Stadion und Hun- derttausende an den Fernsehgeräten konnten es kaum erwarten. Alle Augenpaare waren für zwei Minuten auf den Freistoßspezialisten der Liga gerichtet. Netzer als Zeremonienmeister.





Günter Netzer - Deutscher Fußballer der Jahre 1972 und 1973


Ob Günter Netzer komplizierte Winkelberechnungen anstellte? Ob er Ball und Gegner hypnotisierte? Ob es ihm in diesen Augenblicken wirk- lich gelang, eine magische Kraft auszuüben? Immer dann, wenn das Flugobjekt auf eigentlich unmöglicher Bahn seinen Weg ins Tor fand, war man geneigt, daran zu glauben.

So auch am zweiten Spieltag der Saison 1970/71. Wir in Block F der Westkurve waren alles andere als begeistert. An jenem 22. August 1970 war Netzer der mit Abstand beste Akteur auf dem Platz. Beim 0:1 servierte er Jupp Heynckes einen Freistoß so genau auf den Fuß, dass dieser im Fünfmeterraum stehend nur noch einzuschieben brauchte. 0:2 hieß es dann in der 30. Minute nach einem von Netzer zelebrierten und direkt verwandelten Freistoß. Die Zeitung schrieb zwei Tage später:




In den acht Spielzeiten zwischen 1969/70 und 1976/77 wurde Borussia Mönchengladbach 5 x Deutscher Meister. Nach den beiden Meistertiteln 1969/70 und 1970/71 sowie dem DFB-Pokalsieg 1973, in dem er sich selbst einwechselte und das legendäre Siegtor schoß, ging Netzer zu Real Madrid.


Ein von Zaczyk verwandelter Foulelfmeter und einer jener gefürchteten Kopfbälle von Uwe Seeler retteten dem HSV in der zweiten Halbzeit einen Punkt gegen den Deutschen Meister aus Gladbach.

Altbundestrainer Sepp Herberger hatte 'uns Uwe' vor dem Anpfiff den Goldenen Ball überreicht. Uwe war zum dritten Mal zum Fußballer des Jahres gewählt worden. Star des Abends aber war Günter Netzer. Er hätte verdient gehabt, vor über 60.000 Zuschauern aufzuspielen. Da die Gegengerade für die WM 74 umgebaut wurde, war das Spiel mit 42.000 Zuschauern ausverkauft.




 Die Mannschaftsaufstellungen HSV - Mönchengladbach 22.08.1970
 Siehe auch:  Eine Frage, Herr Netzer



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Niko Sieveking (Gast) - 15. Sep, 15:20

Schöner Blog!

Wunderbar, hier vom alten Volksparkstadion zu lesen. Und: an das Spiel gegen Gladbach kann ich mich tatsächlich erinnern! Saß aber mit meiner ganzen Familie bei den "Pfeffersäcken", denn in die Westkurve durfte ich mit meinen 11 Jahren noch nicht. Dafür später immer wieder, auch bei Eis und Schnee, und auch, wenn nur 7000 Leute im Stadion waren wie gegen Darmstadt oder Wuppertal. Als die "Große Zeit" ihrem Höhepunkt zustrebte, war ich nur noch selten da, weil ich meist selber Fußball spielte zu der Zeit. Nun lebe ich seit vielen Jahren aus beruflichen Gründen in München, versäume aber kein Gastspiel unseres HSV, weder gegen Bayern noch gegen Sechzig.
Die Volkspark-Nostalgie kann ich nachvollziehen, denn es sind wunderbare Jugenderinnerungen, ähnlich denen meines Vaters an den Rothenbaum, wo ich auch ein paar Mal war, wenn sie dort spielten. Aber die Stadien von heute sind schon insgesamt eindrucksvoller, die Stimmung durch die Nähe zum Spielfeld gewaltiger und die Sicht sowieso. Nur das wiederwärtige, nervtötende Animationsprogramm vor und während des Spiels, das brauchten wir damals nicht und Karten bekam man auch leichter. Ist also nicht alles schlechter, aber eben auch nicht besser geworden. Good Luck für den Blog! Ich lese weiter ...

wortmeldung - 17. Jan, 22:20

Danke Niko

Grüße nach München! Lass Dich da unten, mitten im Feindesland nicht unterkriegen.

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